Bis zur Europawahl veröffentlichen wir hier jeden Freitag ein anderes Schlaglicht auf Europa: Menschenrechte, Minderheitenschutz, Klima, freie Presse, reproduktive Rechte - um nur einige Themen zu nennen. Heute geht es um die reproduktive Selbstbestimmung. Was versteht man eigentlich darunter? Gibt es dazu einheitliche Gesetze in Europa?

„Mein Bauch gehört mir!“ Seit den 70er Jahren waren Aktionen gegen den §218 im Zentrum der deutschen Frauenbewegung. „Ich habe abgetrieben!“ bekannten 374 Frauen im „Stern“. Weltweit sagen Frauen „My body, my choice“ und kämpfen für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Diese Slogans machen schon deutlich, um was es bei reproduktiven Rechten geht: „Reproduktive Rechte und Gesundheit beschreiben das Recht einer jeden Einzelnen, selbstbestimmt und frei über den eigenen Körper und die eigene Sexualität zu entscheiden. Dies bedeutet vor allem die freie Entscheidung zu Elternschaft, das Recht über die Anzahl und den Zeitpunkt der Geburt der Kinder zu entscheiden, sowie über die dafür nötigen Informationen, Kenntnisse und Mittel zu verfügen.“ (Quelle: Einführung: Reproduktive Rechte - Definition und Debatten | Heinrich-Böll-Stiftung)

Diese Rechte sind Menschenrechte und für Frauen und Mädchen besonders wichtig, denn Schwangerschaft und Kinder verändern ihr Leben elementar. Sowohl ein Verbot von Abtreibung wie auch eine erzwungene Abtreibung verletzen dieses Menschenrecht.
Wie schaut es nun dazu in Europa aus? Tatsächlich gibt es keine einheitliche Regelung, sondern in den einzelnen EU-Staaten unterschiedliche Gesetze.

So wird in Deutschland auch heute noch ein Schwangerschaftsabbruch im §218 Strafgesetzbuch geregelt. Grundsätzlich ist dieser verboten und steht unter Strafe. Ein Schwangerschaftsabbruch ist aber nach der Fristenregelung bis zu 12 Wochen straffrei, wenn vorher eine Beratung stattgefunden hat und eine dreitägige Bedenkzeit eingehalten wurde. Später ist ein Abbruch nur bei einer medizinischen Indikation legal.

Die Diskussion ist bei uns also immer noch aktuell: Grundsätzliche Straffreiheit oder Fristenlösung? Die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, hier eine Lösung zu finden und hat eine Expert*innenkommission eingesetzt. Diese hat sich jetzt im April 2024 dafür ausgesprochen, dass ein Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden und ein Abbruch in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig sein soll.

Mit dieser Regelung liegt Deutschland in Europa in Bezug auf die Selbstbestimmung der Frauen im Mittelfeld.
So hat unser Nachbar Frankreich im April 2024 das Recht auf Abtreibung in die französische Verfassung aufgenommen – ein weltweites Novum.

Am anderen Ende der Skala stehen Irland und Malta: Dort sind Schwangerschaftsabbrüche generell verboten. Und in Polen sind sie nur aus medizinischer Indikation oder nach einer Vergewaltigung erlaubt.

Auch im EU-Parlament wird über reproduktive Selbstbestimmung diskutiert und eine einheitliche Regelung angestrebt: Vor kurzem stimmte dort eine Mehrheit von 336 Abgeordneten für eine Aufnahme des Rechts auf Abtreibung in die Grundrechte-Charta der EU. Allerdings erfordert eine Änderung der Grundrechte-Charta Einstimmigkeit – eine Umsetzung dieser Resolution erscheint daher in nächster Zeit unwahrscheinlich.

Der Zugang zu sicherer und legaler Abtreibung ist für die Selbstbestimmung von Frauen über ihren eigenen Körper wesentlich. Auch bei uns in Europa ist der Weg bis zur Erreichung dieses Ziels noch weit.

Quellen:
Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin legt Abschlussbericht vor | BMG (bundesgesundheitsministerium.de)
Rechtliche Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch (bundestag.de)
Frankreich verankert Recht auf Abtreibung in Verfassung | tagesschau.de
Schwangerschaftsabbruch in Polen: Für den polnischen Staat ist sie eine Verbrecherin | ZEIT ONLINE
Europaabgeordnete wollen Abtreibung zu EU-Grundrecht erklären | tagesschau.de