Zur heutigen Abstimmung "Änderung des Atomgesetzes" im Bundestag erklärt Beate Walter-Rosenheimer MdB:
Atomkraft ist und bleibt eine Hochrisikotechnologie. Deutschland hat sich aus guten Gründen entschlossen, aus der Atomkraft auszusteigen. Auch die aktuelle Energiekrise in Folge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine ändert nichts daran, dass alle grundsätzlichen Probleme der Atomkraft wie Sicherheitsrisiken, ungelöste Endlagerfrage und fehlende Wirtschaftlichkeit weiterhin gelten.
Atomkraft ist die Vergangenheit, nicht die Zukunft unserer Energieversorgung.
Das zeigt nicht zuletzt auch die Situation der Atomkraftwerke in Frankreich. Dort scheitert die Versorgungssicherheit trotz betriebsgenehmigter Atomkraftwerke daran, dass zum Teil die Hälfte dieser Anlagen außer Betrieb war bzw. ist, teils für routinemäßige Wartungen, zum Teil aber eben auch für dringliche Sicherheitsreparaturen aufgrund unerwarteter Rissbildungen im Kühlsystem.
Angesichts der aktuellen Weltlage und der sich verschärfenden Klimakrise ist für uns klar: Nur mit einer dekarbonisierten Energieversorgung stärken wir die Souveränität Deutschlands und Europas und überwinden die fossile Abhängigkeit unserer Gesellschaft.
Unsere Verantwortung für die Menschen in unserem Land und für die Versorgungssicherheit gebietet es gleichzeitig, die Situation in diesem Winter sachlich und problemorientiert zu bewerten. Der hierfür durch das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Stresstest hat ergeben, dass eine krisenhafte Situation im Stromsystem für diesen Winter zwar sehr unwahrscheinlich ist, aber nicht vollständig ausgeschlossen werden kann.
Der Stresstest hat aber auch gezeigt, dass selbst im Worst-Case-Szenario Atomenergie im Vergleich zu anderen dringenden Maßnahmen nur eine untergeordnete Rolle spielt, wenn es darum geht, in kritischen Situationen die Netzsicherheit im Winter 2022/2023 zu gewährleisten.
Für den äußersten Notfall, als ein Beitrag zur Stabilisierung des Stromnetzes in Süddeutschland, macht es aber Sinn vorzusorgen und auf alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Netzstabilisierung zurückgreifen zu können.
Aus unserer Sicht wäre daher eine konditionierte, zeitlich bis zum 15.04.2023 begrenzte und von der Atomaufsicht der Länder strikt überwachte und von der Bundesaufsicht begleitete Einsatzreserve der beiden Atomkraftwerke Isar 2 und Neckarwestheim 2 zur Abwehr einer konkreten Gefahr für die Versorgungssicherheit und eine entsprechende Änderung der gesetzlichen Grundlagen eine verantwortungsvolle, angemessene, zeitlich begrenzte und zielgenaue Lösung gewesen, die gleichzeitig dem Risiko Rechnung trägt, welches der Einsatz von Atomkraft bedeutet.
Die dem heute zur Abstimmung vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung zugrundeliegende Inanspruchnahme der Richtlinien-Kompetenz durch Bundeskanzler Olaf Scholz hat dazu geführt, dass statt dieser konditionierten Einsatzreserve der zwei süddeutschen Atomkraftwerke ein Streckbetrieb aller drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 bis zum 15.04.2023 durch Änderung des Atomgesetzes gesetzlich geregelt wird.
Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung schreibt ausdrücklich vor, dass für den weiteren Leistungsbetrieb der Anlagen nur die in der jeweiligen Anlage noch vorhandenen Brennelemente zu nutzen sind. Die Beschaffung neuer Brennelemente ist somit definitiv ausgeschlossen, ebenso wie ein über den 15.04.2023 hinaus verlängerter Leistungsbetrieb der drei AKW.
Wir werden im Bundestag keiner gesetzlichen Regelung zustimmen, mit der neue Brennelemente, noch dafür notwendiges neues angereichertes Uran beschafft werden soll. Darüber hinaus sind die Betreiber der Atomkraftwerke nicht nur weiterhin für den Betrieb und die Sicherheit der Anlagen verantwortlich, sondern auch gesetzlich verpflichtet, nach Einstellung des Leistungsbetriebs die Anlagen unverzüglich stillzulegen und mit deren Rückbau zu beginnen.
Die Aufnahme des Atomkraftwerkes Emsland ist allerdings unnötig und entbehrt einer fachlichen Grundlage: Die Netzsituation und Versorgungssicherheit im Norden Deutschlands ist eine andere als im Süden der Bundesrepublik. Anders als im Süden, wo die bayrische Staatsregierung den Ausbau der Windkraft und der Übertragungsleitungen massiv bekämpft hat, stehen in Norddeutschland andere weniger risikoreichere Stromquellen, wie Windkraftanlagen, zur Verfügung.
Der Streckbetrieb des AKW Emsland über den 31.12.2022 hinaus führt sogar dazu, dass zeitweise weniger Strom aus Erneuerbaren Energien ins Netz eingespeist werden kann.
Gerade bei einer Hochrisikotechnologie wie der Atomkraft muss jede Maßnahme angemessen und verhältnismäßig sein. Das ist eine Maßnahme aber nicht, wenn andere, weniger risikoreiche Alternativen zur Verfügung stehen. Die Hinzunahme des Atomkraftwerkes Emsland in einen Streckbetrieb über den 31.12.2022 hinaus ist aus unserer Sicht dementsprechend sachfremd.
Nichtsdestotrotz übernehmen wir in dieser Krisenzeit mit einem zeitlich befristeten und von der Atomaufsicht der Länder strikt überwachten Leistungsbetrieb der drei noch am Netz befindlichen Atomkraftwerke Emsland, Isar 2 und Neckarwestheim 2 über den 31.12.2022 hinaus bis zum 15.04.2023 im Streckbetrieb mit ausschließlich bereits in den Anlagen vorhandenen Brennelementen staatspolitische Verantwortung.
Putins Angriffskrieg ebenso wie das Versagen der Atomkraft in Frankreich zwingen uns dazu, eine konsequente Klimapolitik und den beschlossenen Atomausstieg mit der Notwendigkeit der Versorgungssicherheit in Deutschland und in Europa in Einklang zu bringen.
Mit der vorliegenden Gesetzesänderung bleibt der mittlerweile zweimalig im Deutschen Bundestag beschlossene Ausstieg aus der Atomenergie bestehen, es werden keine neuen Brennelemente beschafft und kein weiterer hochradioaktiver Müll erzeugt. Das ist gerade im Hinblick auf die bis heute ungelöste Endlagerfrage von großer Bedeutung.
Der begrenzte Weiterbetrieb der drei Anlagen bis zum 15.04.2023 bleibt eine Zumutung, der endgültige Vollzug des Atomausstiegs allerdings bestehen. Nur unter dieser Bedingung kann diesem Gesetzentwurf daher zugestimmt werden
Beate Walter-Rosenheimer