Nach 11 Jahren in der Opposition im Bundestag ist es eine neue Erfahrung für mich, dass wir Grünen mitregieren. Und es ist insgesamt eine gute Erfahrung, denn wir haben dem Regierungshandeln sehr wohl eine starke grüne Handschrift verliehen. Die öffentliche Kritik an allem reißt nicht ab und basiert leider oft nicht auf Fakten. Und auf die Erfolge wird wenig geschaut.
Wir haben als Ampelkoalition die Regierung nach 16 Jahren Großer Koalition übernommen. 16 Jahre, in denen immer wieder klar kritisiert wurde, dass alles ausgesessen wurde, es zu großem Reformstau kam und sich gerade im Bereich Klimaschutz und im sozialen Bereich wenig bewegte. Durch jahrelange Untätigkeit sind die Krisen wie z.B. die Klimakrise nun bereits so weit fortgeschritten, dass schnell und sehr konsequent gehandelt werden muss. Auch das verunsichert die Menschen und wird durch Fakenews vom rechten Rand befeuert.
Dieser Rückblick auf eine träge Große Koalition soll keine Entschuldigung sein für das, was die Ampel jetzt tut, aber klar machen, dass wir nicht ein funktionierendes Wonderland übernommen haben. Gerade in den Bereichen Klimaschutz, Verkehr, Energiewende nicht. Und auch nicht im sozialen Bereich. Als wir an die Regierung kamen war jedes 5.Kind in unserem Land von Armut bedroht, hatte die Wohnungsnot enorm zugenommen, hatten wir ein ziemlich unwürdiges HARTZ IV-System.
Dazu lag der Start als Regierungskoalition mitten in der Pandemie mit all ihren Folgen. Und dann waren wir plötzlich mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine konfrontiert, der unseren Frieden in Europa gebrochen hat und nachhaltig bedroht.
Wir stellen uns diesen Herausforderungen als Ampel. Klar ist: Wo endlich regiert wird, gibt es auch Kritik. Und natürlich läuft nicht immer alles so, wie wir Grüne uns das vorstellen. Das ist Demokratie. Wir sind einer von drei Koalitionspartnern.
Seit dem Beginn der 20. Wahlperiode im Deutschen Bundestag hat die Ampelkoalition 170 Gesetze beschlossen. Dazu kommen zahlreiche weitere wichtige Initiativen, die wir uns vorgenommen haben oder bereits im Verfahren sind, wie das Klimaanpassungsgesetz, das Selbstbestimmungsgesetz oder die Reform des Staatsangehörigkeitsrechts.
Wir haben große Räder gedreht, wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, den beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien oder ein milliardenschweres Förderprogramm für den natürlichen Klimaschutz. Und wir haben viele konkrete Verbesserungen durchgesetzt, die tatsächlich im Alltag ankommen, wie beispielsweise das 49-Euro-Ticket oder die Erhöhung des Kindergelds.
Wir haben die stärkste Rentenerhöhung seit Jahrzehnten beschlossen. Im Osten steigen die Renten um über 6%, im Westen um mehr als 5%.
Mit Einführung des Bürgergeldes haben wir endlich das menschenunwürdige Hartz IV überwunden und unterstützen damit Leistungsbeziehende bestmöglich auf ihrem Weg zu sozialer Teilhabe, fördern die Weiterbildung und den Wiedereinstieg in das Berufsleben.
Wir haben den §219a abgeschafft und der Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes werden wir jetzt im Parlament diskutieren.
Zwei Punkte möchte ich besonders herausheben, da sie mir sehr wichtig sind und ich viele Jahre in meiner Fraktion maßgeblich daran mitgewirkt habe:
Das ist einmal die Ausbildungsgarantie, die ich als ausbildungspolitische Sprecherin der letzten Legislatur entwickelt habe. Diese Ausbildungsgarantie ist ein weiteres Puzzlestück zur Bewältigung des Fachkräftemangels, da Jugendliche nicht mehr in Maßnahmen und Programmen ihre Zeit vergeuden, sondern den Schritt in die berufliche Zukunft in einer Ausbildung schaffen.
Und eines meiner Herzensthemen in meiner Zeit als Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Kinderkommission ist die Kindergrundsicherung. Die Zahl der Kinder, die in Armut leben, ist in einem reichen Land wie Deutschland erschreckend und unwürdig. Jedes fünfte Kind gilt als arm. Damit wird diesen Kindern Teilhabe verwehrt, sie stehen am Rande und schämen sich. In einer Demokratie sollten alle Kinder die gleichen Startchancen haben.
Natürlich hätte ich mir eine bessere finanzielle Ausstattung der Kindergrundsicherung gewünscht, der erste Schritt ist aber getan. Mit der Kindergrundsicherung schaffen wir endlich einen Paradigmenwechsel. In der Kindergrundsicherung werden Kindergeld, Kinderzuschlag, Kinderregelbedarf aus Bürgergeld und Sozialhilfe sowie Teile des Bildungs- und Teilhabepakets zusammengefasst, sie kann einfach und digital beantragt werden.
Meine Schwerpunktthemen in dieser Legislatur sind Menschenrechte und Außenpolitik. Und auch in diesen Bereichen haben wir schon einiges erreicht:
Der Genozid an den Jesid*innen wurde nach Einbringung einer Petition vom Deutschen Bundestag endlich anerkannt. Das bedeutet, dass nun eine strafrechtliche Verfolgung von Täter*innen möglich ist und humanitäre Hilfe geleistet wird.
Auch beim Thema Antidiskriminierung sind wir einen Schritt weiter: Der Antiziganismus-Beauftragte hat mit Beginn der neuen Regierung seine Arbeit aufgenommen und gibt nun den weltweit diskriminierten Sinti*zze und Rom*nja eine Stimme.
Um den russischen Oppositionellen und Journalisten Wladimir Kara-Mursa zu unterstützen, der in einem Scheinprozess zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, habe ich einen offenen Brief an den russischen Botschafter initiiert. Damit zeigen wir unsere Solidarität mit ihm und den vielen mutigen Menschen in Russland, die sich für Demokratie und die Wahrung der universell geltenden Menschenrechte einsetzen.
Auf Antrag Deutschlands hat sich der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen mit der Lage im Iran befasst und verabschiedete der Rat eine Resolution, die eine unabhängige Untersuchung der anhaltenden Gewalt gegen friedlich Demonstrierende im Iran vorsieht. Hier hat sich unsere Außenministerin sehr stark gemacht.
Einen wichtigen Impuls für deutsche Außenpolitik hat Annalena Baerbock mit der Ankündigung einer feministischen Außenpolitik gegeben. Auch wenn wir hier noch in den Anfängen stecken, so sind doch einige Ansätze bereits deutlich sichtbar:
Feministische Außenpolitik richtet das Augenmerk auf Rechte, Repräsentanz und Ressourcenausstattung von Frauen und marginalisierten Gruppen.
Bis 2025 sollen 85% der Projektmittel so vergeben werden, dass die Bedürfnisse von Frauen und marginalisierten Gruppen mitberücksichtigt werden. Es macht nämlich einen Unterschied, ob Frauen mitreden können, wenn z.B. in Nigeria ein von Boko Haram zerstörtes Dorf wiederaufgebaut wird und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Am Ende steht mehr Sicherheit für die ganze Gesellschaft. Und es sollen acht Prozent der Projektmittel so eingesetzt werden, dass sie die Gleichstellung schwerpunktmäßig fördern.
Zwei Jahre Regierungsarbeit unter schwierigen Bedingungen - ich finde, unsere Halbzeitbilanz kann sich sehen lassen.
bwr