Es stimmt: im Vergleich zu anderen europäischen Ländern – insbesondere im Süden – scheint die Ausbildungssituation von Jugendlichen in Deutschland fast komfortabel. Aber eben nur fast. Denn trotz einer relativ niedrigen Quote in der Jugendarbeitslosigkeit und einer steigenden Nachfrage nach Fachkräften wächst in unserem Land ein Problem: Seit Jahren geht fast jeder dritte junge Mensch auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz leer aus.

Wer aber keine Stelle findet, landet meist im sogenannten Übergangssystem. Allein im Jahr 2013 waren es wieder über 250 000 Menschen, die dort ohne Aussicht auf einen Abschluss „zwischengeparkt" wurden. In der Folge gibt es mittlerweile rund 1,4 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss. Das ist ein Armutszeugnis für den europäischen Musterschüler Deutschland.

Die Folgen sind sowohl für die einzelnen Betroffenen als auch für die Gesellschaft drastisch: Junge Menschen ohne Berufsabschluss sind häufiger arbeitslos, öfter prekär beschäftigt und bekommen weniger Geld als Gleichaltrige mit Berufsabschluss. Wer keine Berufsausbildung hat, verdient im Laufe seines Erwerbslebens rund 243 000 Euro weniger. Die Ausbildung ist der Schlüssel zur Teilhabe am Arbeitsleben – aber viel zu vielen Jugendlichen bleibt dieser Weg ins Leben verschlossen.

Das gleichermaßen menschliche wie volkswirtschaftliche Gebot der Stunde wäre eine Offensive für die Ausbildungsgarantie. Jeder junge Mensch hat das Recht auf eine gute Ausbildung. Für den modernen Sozialstaat sollte dieses simple Versprechen eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Denn letztlich steckt darin auch ein Teil der Umsetzung des grundgesetzlich verbrieften Rechts „auf freie Entfaltung der Persönlichkeit".

Das Übergangssystem jedoch bewirkt genau das Gegenteil. Für die weniger Leistungsstarken rücken Berufsabschlüsse in weite Ferne. Die Jugendlichen laufen Gefahr, dauerhaft vom Ausbildungs- und damit auch vom Arbeitsmarkt abgehängt zu werden und ihr Dasein in Warteschleifen zu fristen. Die doppelte Tragik dieses unüberschaubaren Systems besteht darin, dass es sowohl die Zukunftschancen der Jugendlichen verbaut, als auch gesamtgesellschaftlich zu einer Belastung wird. Denn es verschlingt jedes Jahr mehr als vier Milliarden Euro, ohne einen substanziellen Impuls für die Lösung der Probleme zu geben.

Die Realisierung der Ausbildungsgarantie basiert auf zwei Säulen. Erstens muss sich das – unbestritten wichtige und gute – duale System öffnen, damit wieder mehr Jugendliche den direkten Weg von der Schule in die betriebliche Ausbildung schaffen.

Dafür brauchen sowohl die jungen Menschen als auch die Betriebe mehr Unterstützung. Assistierte Ausbildungen und ausbildungsbegleitende Hilfen können dafür sorgen, dass auch leistungsschwächere Jugendliche in der dualen Ausbildung bestehen können.

Das allein wird aber ganz bestimmt nicht reichen. Denn trotz dieser Anstrengungen wird es weiterhin Jugendliche geben, die keinen Platz im dualen System finden werden. Doch auch sie haben einen Anspruch auf Ausbildung. Und deshalb brauchen wir zweitens eine neue Gestaltung des Übergangssystems, in dem der Dschungel der Förderprogramme gelichtet und in eine überbetriebliche Ausbildung mit System und hohem Praxisanteil überführt wird.

In Österreich gibt es die Ausbildungsgarantie bereits seit einigen Jahren – mit beachtlichem Erfolg. Das Prinzip lässt sich ohne Weiteres auf Deutschland übertragen. Wer keinen Ausbildungsplatz im dualen System bekommt, schließt einen Ausbildungsvertrag mit einer Berufsschule oder einer anderen überbetrieblichen Ausbildungsstätte ab. Mit der Ausbildungsgarantie gelangen die Jugendlichen dann Schritt für Schritt, in ihrem eigenen Tempo zum Berufsabschluss. Intensive Praktika in Betrieben stellen sicher, dass die notwendigen handwerklichen Fähigkeiten vermittelt werden.

Diese Kombination bietet beides: Mehr Zeit für individuelle Förderung und Praxiserfahrung in Unternehmen. Die Jugendlichen bauen Kontakte auf und können sich im Betrieb bewähren. Ein Wechsel in die reguläre betriebliche Ausbildung ist jederzeit möglich. Sobald ein Unternehmen ein konkretes Angebot macht, hat dies Vorrang. Auf diese Weise wird das duale System sinnvoll ergänzt und alle, die bisher ohne Ausbildungsplatz und ohne Perspektive die Schule verlassen, bekommen eine echte Chance.

Auch die Betriebe würden von dieser neuen Herangehensweise profitieren. Denn ihnen gehen langsam aber sicher die Fachkräfte aus. Der demografische Wandel wird dies noch verstärken. Ein Gegensteuern ist daher dringend erforderlich. Trotzdem landen nach wie vor Jahr für Jahr Hunderttausende Jugendliche in Deutschland in einem Übergangssystem, in dem Talente weder entdeckt noch gefördert werden.

Eine solche Vergeudung von Potenzial kann sich Deutschland nicht länger leisten. Wer den Fachkräftemangel bekämpfen will, braucht die Ausbildungsgarantie. Und das bedeutet, für bisher benachteiligte Jugendliche eine ergänzende Säule zum dualen System zu schaffen. Davon profitieren alle: die jungen Menschen, die Betriebe und der Staat und die Gesellschaft.

Beate Walter-Rosenheimer ist Sprecherin für Jugendpolitik und Ausbildung in der Grünen-Bundestagsfraktion.

Brigitte Pothmer ist Sprecherin für Arbeitsmarktpolitik der Grünen-Bundestagsfraktion.

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