Wahlen in Europa - In welchem gemeinsamen Haus wollen wir leben?
Bis zur Europawahl veröffentlichen wir hier jeden Freitag ein anderes Schlaglicht auf Europa: Menschenrechte, Minderheitenschutz, Klima, freie Presse, reproduktive Rechte - um nur einige Themen zu nennen. Heute starten wir mit einem Beitrag zur Pressefreiheit.
Für die meisten Menschen in unserer demokratischen pluralistischen Gesellschaft ist es eine Selbstverständlichkeit, die eigene Meinung frei äußern zu können und kritische Berichterstattung zu unterschiedlichsten Themen in den Medien zu finden. Das garantiert Artikel 5 des Grundgesetzes. Was in Demokratien als ein grundlegendes Menschenrecht angesehen wird und als absolute Normalität, über die sich eigentlich niemand mehr Gedanken macht, ist aber leider keine universelle Realität.
Das zeigen Beispiele von autokratischen Staaten wie beispielsweise China, Russland, Iran. Hier werden Menschen schon allein für regimekritische Meinungsäußerungen inhaftiert.
Und das hat natürlich auch dramatische Folgen für die Pressefreiheit. In diesen Ländern existiert de facto keine freie und unabhängige Presse- und Medienlandschaft mehr. Die Opposition wird mit drankonischen Maßnahmen vertrieben, eingesperrt, zum Schweigen gebracht. Diktaturen sorgen auch auf diese Weise für ihren Machterhalt.
Wer glaubt, dass wir uns hier in Deutschland und in Europa über dieses Thema keine Gedanken machen brauchen und quasi auf der Insel der Glückseligkeit leben, wird beim genaueren Hinsehen eines Besseren belehrt.
Zwar ist die Presse- und Meinungsfreiheit unter anderem auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Artikel 11 fest verankert, doch letztendlich bleibt es auch hier ein Recht, das immer wieder aufs Neue verteidigt und geschützt werden muss.
Erfreulicherweise steht Deutschland ganz aktuell im weltweiten Vergleich auf Platz 10, liegt aber immer noch hinter Ländern wie Portugal, der Schweiz oder den Spitzenreitern aus Skandinavien. Dass die Pressefreiheit durchaus ein volatiles Gut ist, sieht man auch daran, dass Deutschland 2023 in der Rangliste zurückfiel. Deutschland belegte plötzlich weltweit nur noch Rang 21.
Und auch in vielen anderen Ländern Europas steht es zum Teil nicht so rosig um eine freie Berichterstattung.
Was sind die Gründe?
Zum einen der Druck durch staatliche Übergriffe wie Zensur, Strafverfahren oder Zwangsübernahmen. In Polen etwa wurde unter der nationalkonservativen Regierung der PiS-Partei versucht, private Medien wieder in staatliche Hand zu bekommen und damit verbunden auch auf die Personalentscheidungen Einfluss zu gewinnen und so die Meinungshoheit zu erlangen. Auch in Ungarn (aktuell auf Platz 67 im Rankings von Reporter ohne Grenzen) oder der Slowakei (Platz 29) wird Presse zensiert.
Ein weiterer Grund ist die in einigen europäischen Ländern stark abnehmende Medienvielfalt. Durch zunehmenden wirtschaftlichen Druck kommt es zu unguten Medienkonzentrationen, wie es stark in Griechenland (aktuell auf Platz 88 im Rankings von Reporter ohne Grenzen), aber auch in Italien (Rang 46) und Frankreich (Rang 21) zu beobachten ist. Besonders problematisch wird es, wenn Großkonzerne und Politiker*innen an Medienunternehmen beteiligt sind und so in die eigentlich freie und unabhängige Presse hineinspielen und ihren Einfluss geltend machen. Politiker*innen erteilen der Presse in derartigen Kontexten Anweisungen, wie sie berichten sollen, Skandale werden so oft unter den Teppich gekehrt. Das Motto lautet hier: „Wer zahlt schafft an“.
Nicht zuletzt steigt auch der Druck auf Journalist*innen und Medienschaffende in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft. Populisten machen ganz gezielt Stimmung gegen die freie Presse und diskreditieren sie als Lügenpresse. Sie schüren damit Misstrauen gegen Journalist*innen sowie die freie Berichterstattung.
Mit durchaus weitreichenden Konsequenzen: Auf der einen Seite führt das zu einer Unsicherheit bis hin zur Selbstzensur bei den Medienschaffenden, auf der anderen Seite kommt es zu zunehmend gewalttätigen Übergriffen. Trauriger Höhepunkt war das Jahr 2022 mit 103 physische Angriffe auf Journalist*innen allein in Deutschland, dem höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen.
Die Agenda der Rechtspopulisten und allen voran Putins Russland umfasst darüber hinaus eine Schwächung der EU, bis hin zu Ausstiegsforderungen Deutschlands aus der europäischen Gemeinschaft wie dem sogenannten „Dexit“, der weitreichende und gravierende negative Folgen hätte, wie das Beispiel des Vereinigten Königreichs zeigt.
Die Gefährdungen der Medienfreiheit in Europa mögen von Land zu Land unterschiedlich sein, dennoch müssen wir auf alle adäquat reagieren, um auch in Zukunft eine unabhängige und freie Presse in Deutschland und in Europa zu gewährleisten. Denn sie trägt entscheidend bei zur Meinungsbildung, sie ermöglicht uns Informationsgewinn und fördert eine pluralistische und offene Gesellschaft. In Zeiten von Desinformationskampagnen, Fake News, Hassbotschaften und Cyberangriffen brauchen wir unbedingt eine gut ausgestattete, engagierte und vielfältige Medienlandschaft und unabhängige, seriöse Berichterstattung. Demokratie und Pressefreiheit sind zwei Seiten einer Medaille. Und wo die Pressefreiheit eingeschränkt wird, werden auch andere Menschenrechte verletzt. Pressefreiheit ist kein „nice to have“, sie ist elementarer Baustein demokratischer Gesellschaften.
Grund genug, sich über dieses Thema vor den anstehenden Wahlen zum Europäischen Parlament Gedanken zu machen – und Rechtspopulisten und Nationalisten auf keinen Fall das Feld zu überlassen. Denn dann sähe es wohl bald düster aus in Europa.
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Quellen:
- Reporter ohne Grenzen:
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2024/RSF_Rangliste_der_Pressefreiheit_2024.pdf
https://www.reporter-ohne-grenzen.de/pressemitteilungen/meldung/deutschland-stellt-sich-kritik-an-menschenrechtslage - Europäisches Parlament:
https://www.europarl.europa.eu/topics/de/article/20220513STO29508/pressefreiheit-das-europaische-parlament-setzt-sich-fur-journalisten-ein - Bundeszentrale für politische Bildung:
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/231305/pressefreiheit-in-europa/