Mit dem Koalitionsvertrag haben Union und SPD ihre Pläne vorgelegt, wie sie das deutsche Bildungssystem von der Grundschule bis zur Weiterbildung in den nächsten Jahren fit für die Zukunft machen wollen. Doch reichen die Ankündigungen aus, um auf dem Weg in die Bildungsrepublik tatsächlich einen großen Schritt voranzukommen?
Diese Frage stand im Fokus des bildungspolitischen Austauschs, zu dem die AG Bildung der grünen Bundestagsfraktion Expertinnen und Experten von Bildungsverbänden, Handwerk, Industrie, Handel und Gewerkschaften eingeladen hatte.
Bildungsgerechtigkeit und Fachkräftesicherung brauchen kräftige Investitionen – darin waren sich alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Gesprächs einig. Qualitativ hochwertige Ganztagsangebote, gelebte Inklusion in Regelschulen und eine breite Teilhabe von Neuzugewanderten an Bildung und Qualifizierung fallen genauso wenig vom Himmel wie eine öffentliche Weiterbildungsförderung, die allen Menschen Wege ins lebensbegleitende Lernen ebnet.
Insgesamt positiv wurde der gestiegene Stellenwert der Bildung im Koalitionsvertrag bewertet, auch wenn viele Fragen der Umsetzung noch ungeklärt seien. So biete beispielsweise der Nationale Bildungsrat zwar durchaus die Chance, die Kooperation zwischen Bund und Ländern in Bildungsfragen zu verbessern, welche Aufgaben er aber konkret übernehmen solle oder wie die Ankündigungen zur digitalen Bildung, von der Schulcloud bis zu didaktischen Fragen bei der Medienkompetenz, in 16 Lehrplänen umgesetzt werden können, lasse der Koalitionsvertrag hingegen weitgehend offen.
Auch beim Thema Ganztag wurde deutlich, dass der Rechtsanspruch auf Betreuung im Grundschulalter nur ein erster Schritt sein kann. Guter Ganztag sei deutlich mehr als reine Nachmittagsbetreuung in Hort oder Grundschule, bekräftigten Margit Stumpp und VertreterInnen von Bildungs- und Sozialverbänden gleichermaßen. Dazu gehörten gut ausgebildetes Lehrpersonal, ebenso wie flächendeckende Schulsozialarbeit und eine rechtliche Umsetzung des Vorhabens, die die Kommunen nicht einseitig belaste.
Die BildungsexpertInnen der Grünen Bundestagsfraktion stellten den Leerstellen des Koalitionsvertrags ihre Ideen für einen echten bildungspolitischen Aufbruch entgegen: Statt der vorsichtigen Öffnung des Kooperationsverbotes plädierte Kai Gehring unter anderem für einen Kooperationsparagrafen, der im Grundgesetz verankert werden müsse.
Beim Thema Digitalisierung in der Bildung machte sich Margit Stumpp dafür stark, das pädagogische Lehrpersonal nicht mit zusätzlichen Aufgaben zu überfordern und verwies auf das Vorbild Finnland. Dort zählten 40% der Schulangestellten zum nicht-pädagogischen Personal. Sie kümmerten sich unter anderem um Fragen der IT-Technik und ermöglichten so den LehrerInnen sich auf guten Unterricht zu konzentrieren. Ein Modell, das auch in Deutschland Schule machen könne, wenn die neue große Koalition die Digitalisierung im Klassenzimmer ernster nehme als die alte große Koalition.
Die ausbildungspolitische Sprecherin, Beate Walter-Rosenheimer, verwies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer Ausbildungsgarantie, die auch benachteiligten jungen Menschen sichere Wege in das Berufsleben ebnen müsse. Für Chancengerechtigkeit leiste der Koalitionsvertrag insgesamt zu wenig. Zwar sei der Fokus auf Fragen der beruflichen Aus- und Weiterbildung erfreulich, so Walter-Rosenheimer weiter, ein großer Sprung zu deutlich mehr Chancengerechtigkeit stellten die angekündigten Verbesserungen beim Meister-BAföG oder die zusätzlichen Mittel zur Digitalisierung der überbetrieblichen Ausbildungsstätten aber noch nicht in ausreichendem Maße dar.
Die Schwerpunktverschiebung zugunsten der beruflichen Bildung begrüßten insbesondere auch die Bildungsexperten von Handwerk, Industrie und Handel und Gewerkschaften. Es sei gut, dass sich das Bekenntnis zur beruflichen Bildung nun auch in Investitionen widerspiegle. Diese müssten aber auch konzeptionell hinterlegt und weiterentwickelt werden, damit alle Menschen von der Erstausbildung bis zum Meisterkurs gerechte Chancen und Betriebe ausreichend Fachkräfte erhalten könnten.
Ob die hohe Ausbildungslosigkeit junger Menschen, fehlende Zugänge ins lebensbegleitende Lernen, mangelnde Ganztagsangebote für alle SchülerInnen oder die schleppende Digitalisierung im Klassenzimmer: Die Leerstellen des Koalitionsvertrags selbst liefern die Erklärung, warum es auch in den kommenden Jahren starke grüne Oppositionsarbeit braucht. Auf dem Weg in die chancengerechte Bildungsrepublik gibt es aus grüner Sicht noch einiges zu tun.