Das Auftreten von Verschörungstheorien ist in Zeiten großer Unsicherheit - wie zum Beispiel einer Pandemie mit vielen offenen Fragen - keine Seltenheit. Derzeit kann man sie verstärkt beobachten. Mein Kollege, der klinische Psychologe Dr.Steven Taylor, Professor an der University of British Columbia in Vancouver, hat sich intensiv mit diesem Thema beschäftigt. Christin Schörk von report psychologie, der Fachzeitschrift des bdp (Bund deutscher Psychologen) berichtet aktuell darüber. Es mutet schon fast seltsam an: Taylor hat zwei Jahre lang an einem Buch gearbeitet „The Psychology of Pandemics“. Im Dezember 2019 wurde es veröffentlicht. Also zufällig zum Start der Covid19-Pandemie. Was man dort im letzten Kapitel über eine „mögliche nächste Pandemie“ lesen kann, mutet fast prophetisch an. Ein „wertvoller Zufall“.

Kurz und knapp zum Inhalt: ein Großteil des Buches beschäftigt sich ".....mit den emotionalen Reaktionen, die in Zeiten einer Pandemie zu erwarten seien und die von Gleichgültigkeit oder Leugnung über Distress und Angst bis hin zu Fatalismus reichen können.“ Die allermeisten Menschen sind durch so etwas wie die Pandemie besorgt, zunächst leicht geängstigt und gestresst, können sich dann aber gut der Situation anpassen. Sie sind dann auch kognitiv in der Lage das aktuelle Geschehen zu bewerten und einzuordnen. Einige Menschen aber können das nicht.

Anhaltende Unsicherheit, Veränderung und Verlust durch die Krise kann bei ihnen zu ernsten Angststörungen oder sogar zu posttraumatischen Belastungsstörungen führen. Neben bestimmten Persönlichkeitseigenschaften beeinflussen auch „kognitive Informationsverarbeitungsstile bezüglich Gesundheitsrisiken und unrealistischer Optimismus“ die Anfälligkeit für emotionalen Stress.
Neben der „individuenbezogenen Aufarbeitung“ der psychologischen Folgen spielen -gerade für die Politik- die kollektiven Auswirkungen eine große Rolle.

Was wir alle in diesen Tagen bemerken: gegen die Verschwörungstheorien kommen wir auch mit den sachlichsten Argumenten oder besten Belegen nicht an. Sie zu entkräften scheint schier unmöglich, weil sich „die Gegenargumente optimal in die konspirative Theorie einfügen.“
Für Taylor bedeutet das, dass „die Bevölkerung mit Information versorgt“ werden muss, „die den Verschwörungsglauben entkräften, noch bevor dieser sich ausbildet.“ Das ist ein sehr interessanter Gedanke, denn genau das ist auf vielen Gebieten durch die Bundesregierung nicht passiert oder die Menschen waren zu vielen unterschiedlichen und teils widersprüchlichen Informationen ausgesetzt. Nehmen wir als Beispiel die Maskenpflicht, die Art der Verbreitung des Virus oder die Diskussion um Infektionen bei Kindern.  Diese vielen Informationen müssen im Gehirn ja gefiltert, geordnet und bewertet werden, um auch für das eigene Umgehen mit den daraus entstehenden Konsequenzen zu entscheiden.

Taylor sieht klar, dass die Förderung kritisch-analytischen Denkens Menschen dazu befähigen kann, „zwischen falschen Theorien und faktischen Informationen zu differenzieren.“ „Eine gelungene Risikokommunikation sei daher eine der wichtigsten Maßnahmen“, um die Menschen mitzunehmen, von notwendigen Verhaltensregeln zu überzeugen und sie zu eigenverantwortlichem und angemessenen Verhalten zu bewegen.

Neben logischen müssen immer auch emotionale Aspekte berücksichtigt werden. „Gelungene Risikokommunikation muss also dafür sorgen, dass das tatsächliche Gesundheitsrisiko in der Bevölkerung als solches wahrgenommen und als glaubwürdig empfunden wird.“ Dabei soll weder großflächig Angst geschürt werden noch sollte sich durch übermäßige Berichterstattung „psychologische Distanz“ entwickeln können, die zu einer Art „Abstumpfung“ führt.
Es gibt laut Taylor bezüglich eines angemessenen Kommunikationskonzeptes oder des Umgangs mit impfkritischen Personen aktuell keine abschließende Lösung. Es gibt zu wenig Erkenntnisse dazu, zu wenig Forschung auch zum Thema „Verarbeitung pandemiebezogenen Stresses“ zum Beispiel für Mitarbeiter*innen im Gesundheitsbereich.

„Psychologische Expertise wird außerdem benötigt, um Methoden zu entwickeln, mittels derer infektionsbezogene Fremdenfeindlichkeit und andere Formen von Diskriminierung reduziert werden können. Ein Aspekt, dessen Dringlichkeit durch die Corona-Krise sehr deutlich wird.“
Bei Pandemien geht es nicht nur um Viren, die Menschen infizieren, sondern um das Verhalten der Menschen. Sie entscheiden, ob eine Pandemie eingedämmt werden kann. Pandemien sind also auch psychologische Phänomene. Und das ist wichtig für gute politische Entscheidungen.